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Weit einwärts im Gebirge, das jetzt die Fränkische Höhe heißt, liegt einsam ein Marktflecken namens Plech. Es mag wohl schon lange, lange Zeit her sein, da waren in Plech zwar grunzende Schweine, mäkernde Geisen [meckernde Ziegen], blökende Schafe, auch etwa hie und da ein muhendes Rind zu sehen, doch ein wieherndes Pferd war dortselbst noch ein fabelhaftes Thier.

Da saßen einmal im Wirtshaus die fürnehmsten [vornehmsten] Einwohner des Fleckens beisammen hinter’m Bierkrug. Wie sie so saßen, kam lustig und wohlgemuth ein fahrender Handwerksbursche daher, der hatte auf dem Rücken einen Ranzen und unter dem Arm einen großen Kürbis. Als er sich grüßend zu den Gästen gesetzt, fragte einer der Plecher, auf den Kürbis deutend: »Was habt Ihr denn da für ein wundersam Ding?« »Ein Roßei!« entgegnete schelmisch der Fremdling. »Ein Roßei?« rief mit großen Augen der Frager, und »Ein Roßei?« riefen Alle verwundert ihm nach.

»Für gute Worte, ein paar Schluck Bier und einen kleinen Imbiß obendrein sollt Ihr es haben«, sagte schmunzelnd der Bursche: »doch Eines müßt Ihr wissen, nur Menschenwärme kann es ausbrüten und wohlgemerkt! in freier Bergesluft.«

Gesagt, gethan! Man ward handelseinig, und bald schlenderte der Fremdling, reichlich gestärkt, wieder zum Marktflecken hinaus; das vermeintliche Roßei aber blieb zu allgemeinem Ergötzen zurück bei den Plechern.

Schon am nächsten Morgen in aller Frühe zog man hinauf zum nächstgelegenen Berg und warf das Los, wer reihum das kostbare Ei ausbrüten sollte hoch oben auf sonniger Kuppe. Da saß der Erste und brütete sorgsam, dann der Zweite, der Dritte und so weiter. Endlich traf die Runde auch den Herrn Bürgermeister, der, wie wohl alle seine Amtsgenossen, ein überaus dicker und wohlbeleibter Mann war. Auch er saß und brütete sorgsam. Plötzlich hört er unter sich ein Krachen. Voll Erwartung der Dinge, die da kommen werden, springt er empor; doch der geplatzte Kürbis, durch den Aufsprung in Bewegung gesetzt, rollt den Berg hinunter, rollt hinunter bis zu einem Wacholderbusch, und o Wunder! ein Hase, der dort sein Lager haben mochte, stürzt aufgeschreckt daraus hervor und jagt in gestrecktem Laufe fernab von Plech wüsta [links] linkshin. »Hott [rechts], hott, Heinsel [Fohlen], nach Plech ’nein, nach Plech ’nein!« [Hott Häissl, af Plech näi!] schreit voller Freude der Bürgermeister ihm nach, in der Meinung, das Rößlein sei nun zur Welt geboren; er mochte aber schreien, so viel er wollte, das Häschen war auf und davon.

Bald wurden die Plecher ihres Irrthums gewahr; doch der Berg, wo sich Solches begab, heißt noch heute der »Heinselberg«.

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(Zitiert nach: Der Heinselberg. In: Sagenbuch der Bayerischen Lande. Aus dem Munde des Volkes, der Chronik und der Dichter hrsg. von Alexander Schöppner. 2. Band. München 1852, S. 168 und 169, Nr. 625. Die dreibändige Sammlung von Alexander Schöppner ist das älteste bisher bekannte Druckwerk, in dem die Plecher „Häissl-Sage“ erschienen ist. Die Überschrift „Der Heinselberg“ wurde hier aber durch „Der Plecher Bürgerstreich“ ersetzt, weil der Gottvaterberg in Plech nämlich nie „Heinselberg“ geheißen hat.)